NRZ | Digitales Themenheft | Heimat am Niederrhein

UNTERWEGS MIT DEM RAD 5 Den Familienalltag mit vier Kindern und ohne Auto zu managen, war doch sicher eine Herausforderung? Nee, überhaupt nicht. Klar, wir haben schon strategisch geschaut, dass wir nicht irgendwo aufs Land ziehen, wo wir nicht an den ÖPNV angebunden sind. Wir haben uns deshalb für ein Haus entschieden, von dem aus wir nach 300 Metern an gleich fünf Buslinien sind, mit denen wir nach Moers, Krefeld oder Duisburg kommen. Die einzige Einschränkung, die wir aber bewusst in Kauf genommen haben, sind die Außenbeziehungen. Freunde und Freizeitangebote müssen mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV erreichbar sein. Keine Frage, dass Sie zur Arbeit immer geradelt sind… oder? Genau, eine Strecke war etwas länger als 24 Kilometer, aber ich habe auch den kleinen, schöneren Umweg genommen. Meine Kollegen haben immer gesagt, dass ich doch auch den Zug nehmen könnte. Aber erstens hätte ich dafür ebenfalls eine Stunde gebraucht, zweites hätte es Geld gekostet, drittens hätte ich immer auf die Uhr gucken müssen… und ich bin ein uhrenloser Mensch (lacht). Mit dem Fahrrad war ich dagegen unabhängig. Außerdem musste ich bei 30 Grad nie ins heiße Auto steigen oder im Winter die Schreiben frei kratzen. Ach, es gibt 1000 Gründe fürs Fahrrad und nur einen fürs Auto: die Ausrede. Naja, aber wenn es nun wirklich regnet oder glatt ist? Haben Sie noch nie gedacht: Och nö, heute habe ich wirklich keine Lust? Natürlich ist das eine Herausforderung, das will ich gar nicht verhehlen. Aber ich habe das mal nachgehalten. Von 400 Fahrten im Jahr bin ich 15 bis 20 Mal wirklich nass geworden. Wenn man das runterrechnet auf Strecken von drei bis fünf Kilometer, die ja die meisten mit dem Fahrrad fahren, dann passiert das noch deutlich seltener. Denn ja, ich fahre zwar bei Wind und Wetter, aber das muss man nicht machen. In der Regel gibt’s Alternativen, wie den ÖPNV, den muss man nur eben auch organisieren. Würden Sie sagen, es findet langsam ein Umdenken statt – auch durch das Stadtradeln, das Sie lange Zeit im Kreis Wesel mitkoordiniert haben? Allgemein ist das gesellschaftspolitische Bewusstsein tatsächlich ökologischer geworden. Aber wir sprechen nicht von 100 und auch nicht von 80 Prozent, sondern von 20 bis 25 Prozent, die tatsächlich etwas fürs Klima machen. Es ist also immer noch eine Minderheit, die das Fahrrad als Alltagsfahrzeug nutzt. Das liegt aber auch an den Rahmenbedingungen, die sich ändern müssten. Zum Beispiel? So lange jemand weiterhin die 500 Meter zum Bäcker mit dem Auto fährt, ist der Sprit zu billig. Klar, vielen tun die Preise auch weh, keine Frage. Aber dann müssen andere, klimafreundliche Angebote geschaffen werden. Oder so etwas wie die Pendlerpauschale: Die Leute ziehen aufs Land, weil es dort billiger ist, und pendeln in die Stadt, meistens mit dem Auto, weil es mit der Bahn zu lange dauert. Da verstehe ich die Politik einfach nicht. Grundsätzlich braucht unsere Gesellschaft mehr Entschleunigung und das geht hervorragend mit dem Fahrrad im Alltag. Seit dem 1. Januar 2023 sind Sie in Rente… Fehlen Ihnen nicht die täglichen 50 Kilometer auf dem Rad? Schon. Aber dafür unternehme ich jetzt andere Fahrten. Meine jüngste Tochter wohnt mittlerweile in Wuppertal, wo ich sie regelmäßig mit dem Fahrrad besuche. Eine Strecke ist zwar 60 Kilometer lang, aber ich habe einen Weg gefunden, der wirklich super ist. Also gut, wie würden Sie andere Menschen, vielleicht ja unsere Leserinnen und Leser, dazu motivieren, noch mehr Fahrrad zu fahren? Fahrradfahren ist wie Urlaub! Man entspannt, genießt die Natur und nimmt das Leben ganz anders wahr. Wenn ich morgens zur Arbeit im Sonnenaufgang über den Rheindeich gefahren bin, dort ein paar Schafe und Piepmätze gesehen habe, das war einfach immer herrlich!

RkJQdWJsaXNoZXIy MjExNDA4