Berliner Morgenpost | Digitales Themenheft | Berliner Originale
10 BERLINER ORIGINALE „Es hat lange gedauert, bis wir wieder Menschen waren“ Nach ihrer Festnahme wird sie in ein Auffanglager in Wedding gebracht, Anfang Juni 1944 ins Konzentra- tionslager Theresienstadt deportiert. Ein Schauer durchfährt einen, wenn Margot Friedländer dazu sagt, dass sie Glück gehabt habe. Aber es macht Sinn, denn Theresienstadt war kein Vernichtungslager. Sie trifft dort Adolf Friedländer wieder, den sie schon vor dem Krieg kennengelernt hatte. Ge- meinsam erleben sie die Befreiung durch die Rote Armee am 8. Mai 1945. Er fragt sie, ob sie ihn heiraten und mit ihm ein neues Leben anfangen wolle. Sie willigt ein, 1946 emigrieren sie nach New York. War sie verliebt? „Es war keine Liebe. Waren wir in der Lage, zu lieben? Wir waren erschöpft. Es hat lange gedauert, bis wir wieder Menschen waren, die einen Namen hatten“, sagte sie kürzlich dazu. Wenn Margot Friedländer über ihr Le- ben spricht, tut sie das sachlich. „Ich erzähle nicht böse, sondern wie es war“, sagt sie. Sie offenbart ihre Ge- fühle, die damaligen wie die heutigen. Sofort wird klar: Sie versucht damit nicht, einen Effekt zu erzielen. Es sind die Bilder, die in ihr aufsteigen. Was sie erlebt hat, hat sich in sie einge- brannt, weil es so ungeheuerlich war. „Ich erinnere mich an vieles, als ob es gestern war“, sagt sie bei unserem Be- such. Oft wird deutlich, wie schwer es ist, sich an all das Leid zu erinnern, dann macht sie eine Pause, und ihr Blick geht nach innen. Gleichzeitig hilft es ihr, darüber zu reden: „Es liegt mir
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