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16 Das Strandbad Plötzensee auf der gegenüberliegenden Seite lehnen vie- le der Wildbader ab. Zu voll, zu kom- merziell, sagen sie. Außerdem: der Eintritt. Den können und wollen sich nicht alle leisten. Wie etwa Dania. Die 56-Jährige sitzt im Bikini auf der Steinmauer. Ihre Arme hat sie locker über das Geländer gelegt. Auch sie gehört zur Gemeinschaft am Steingar- ten, kommt regelmäßig. „Ich liebe dis hier“, sagt sie und zündet sich einen Joint an. „Vor Jahren war ich mit mei- nem Sohn auch im Strandbad. Ich könnte mir den Eintritt aber heute nicht mehr leisten.“ Ins Strandbad gehe sie heute gar nicht mehr. „Das Landschaftsschutzgebiet und die laute Musik, die die dort ab- spielen, passen einfach nicht zusam- men“, sagt Dania und berichtet von den Schwänen, die in diesem Jahr erfolgreich Junge ausgebrütet hätten. An diesem Dienstagnachmittag ist der Strand des Freibades übervoll. Es dringen Kindergeschrei und Musik herüber. Das Freibad ist die einzige of- fizielle Badestelle am Plötzensee. Dania blickt ein bisschen mit Verach- tung auf die Menschen, die sich ent- lang der geschützten Ufer aufhalten, an denen eigentlich Büsche, Bäume und brütende Vögel dominieren soll- ten. Vor allem der Dreck, den viele am Ufer hinterlassen, störe sie. „Viele sitzen da und denken: Toll, hier bin ich ja direkt im Biotop und tauschen vegane Kochrezepte aus.“ Für Dania ist das ein Widerspruch. „Wir machen hier am Steingarten das, was der Be- zirk nicht macht. Wir räumen Müll weg und achten darauf, dass sich alle benehmen“, so Dania. Mit dem frühen Abend – und dem Fei- erabend – kommen immer mehr Men- schen an den Plötzensee. Als wäre es Berlins einziges Gewässer und das Schwimmen darin überlebensnotwen- dig. Zaunhüpfer auf frischer Tat zu er- tappen, könnte dann kaum einfacher sein. So wie Alex, die aus Wien zu Gast ist. Die 23-Jährige klettert aus dem be- wachsenen Uferbereich über den Zaun zurück auf den Weg, als sie von der Berliner Morgenpost angespro- chen wird. Dass sie gerade eine Ord- nungswidrigkeit begangen hat, wisse sie. Ihre Scham versucht sie hinter Er- klärungen zu verbergen: „Das Strand- bad können sich viele junge Leute nun mal nicht leisten“, sagt sie. „Und außerdem reiche das als Angebot nicht aus.“ Ihre Freundin neben ihr verstummt. Wildbaden am Plötzensee: „Alle ma- chen das so“ Einem jungen Mann, der ebenfalls gerade über den Zaun springt, ist die Verlegenheit anzumerken. Er schweigt lange und sagt dann: „Ich denke da nicht so viel drüber nach, aber wenn, dann habe ich ein schlechtes Gewis- sen.“ Aber: „Alle machen das so und springen einfach über den Zaun.“ Womit er recht hat. Den Zaun als Hür- de scheint es zumindest am Plötzen- see nicht zu geben. Dabei soll dieser eigentlich vor dem Einfluss des Men- schen schützen, Tieren und Pflanzen Lebensraum geben. Ein Kompromiss aus der Nutzung durch den Menschen im Freibad und dem Naturschutz. Im Bezirksamt Mitte weiß man na- türlich längst von den Gewohnheiten der Berlinerinnen und Berliner. Dass Ordnungsamt verteilt auch immer mal Knöllchen. Wie oft in dieser Saison am Plötzensee kontrolliert werde, konnte die Behörde jedoch auf Nachfrage der Berliner Morgenpost zunächst nicht beantworten und erbat mehr Zeit. Und so muss auch offen bleiben, ob der angekündigte höhere Zaun denn nun wirklich kommen wird. Wer etwas zur Arbeit des Ordnungs- amts sagen kann, ist Abu Rabi, der selbsternannte Bademeister. Er sagt, das Ordnungsamt spreche ab und zu mündliche Verwarnungen aus. Ab und zu gebe es auch mal ein Bußgeld. Dann aber eher an die, die über den Zaun klettern und an den geschützten Uferbereichen sitzen. Er habe noch nie Probleme mit den Behörden ge- habt. „Ich komme immer klar, Habi- bi“, sagt Abu Rabi.
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